Venöse Thromboembolien (VTE) bleiben im perioperativen Umfeld ein kritisches Problem und stellen erhebliche Risiken für chirurgische Patienten dar. Als Reaktion auf sich entwickelnde klinische Praktiken und neue Erkenntnisse hat die European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) zusammen mit anderen führenden europäischen und internationalen Gesellschaften aktualisierte Leitlinien zur perioperativen VTE-Prophylaxe herausgegeben. Diese Leitlinien, die im European Journal of Anaesthesiology, stellen die erste große Aktualisierung seit den ersten Empfehlungen im Jahr 2018 dar.
Hintergrund und Bedeutung
VTE, zu denen sowohl tiefe Venenthrombose (TVT) als auch Lungenembolie (PE) gehören, sind eine der Hauptursachen für Morbidität und Mortalität bei chirurgischen Patienten. Die perioperative Phase ist aufgrund von Faktoren wie längerer Immobilität, chirurgischem Trauma und patientenspezifischen Risikofaktoren wie Alter, Fettleibigkeit und VTE-Vorgeschichte besonders risikoreich. Eine wirksame VTE-Prophylaxe ist daher entscheidend, um diese Risiken zu mindern.
Wichtige Aktualisierungen in den Leitlinien 2024
- Erweiterter Umfang und neue Kapitel
- Neue Fachgebiete abgedeckt: Die aktualisierten Richtlinien enthalten jetzt spezielle Abschnitte für plastische Chirurgie, Urologie, Trauma und nicht-ambulante orthopädische Chirurgie. Diese Ergänzungen gehen auf die besonderen VTE-Risiken und Prophylaxeanforderungen in diesen chirurgischen Bereichen ein.
- Entfernung von COVID-19-spezifischen Richtlinien: Der ursprünglich als neues Kapitel geplante Abschnitt zur perioperativen Prophylaxe bei COVID-19-Patienten wurde aufgrund der abnehmenden klinischen Auswirkungen des Virus letztendlich weggelassen..
2. Schwerpunkt mechanische und pharmakologische Prophylaxe
- Tages- und Fast-Track-Operationen: Die Leitlinien legen bei Patienten mit geringem Risiko Wert auf allgemeine Maßnahmen wie optimale Flüssigkeitszufuhr und frühe Mobilisierung gegenüber mechanischer oder medikamentöser Prophylaxe. Bei Eingriffen mit hohem Risiko wird dagegen eine Kombination aus medikamentöser Prophylaxe mit niedermolekularem Heparin (NMH) und früher Mobilisierung empfohlen.
- Mechanische Prophylaxe: Geräte zur intermittierenden pneumatischen Kompression (IPC) werden weiterhin empfohlen, insbesondere bei Patienten mit Kontraindikationen für eine medikamentöse Prophylaxe oder bei Patienten mit hohem VTE-Risiko. Die Richtlinien empfehlen, die mechanische Prophylaxe in einrichtungsweite Protokolle zu integrieren, um Konsistenz in den VTE-Präventionspraktiken sicherzustellen.
3. Spezifische Empfehlungen für Hochrisikopopulationen
- Übergewichtige Patienten: Patienten der bariatrischen Chirurgie, insbesondere solche mit einem BMI über 40 kg/m², gelten als Hochrisikogruppe. Die Leitlinien empfehlen verbesserte Prophylaxestrategien, darunter höhere Dosen von LMWH und die kombinierte Anwendung mechanischer Methoden wie IPC.
- Ältere Patienten und Patienten mit Koagulopathien: Bei älteren Patienten und Patienten mit vorbestehenden Koagulopathien empfehlen die Leitlinien einen vorsichtigen Ansatz, bei dem das Blutungsrisiko mit der Notwendigkeit einer wirksamen VTE-Prävention abgewogen wird.
4. Aktualisierte Empfehlungen für die Neurochirurgie und Herzchirurgie
- Neurochirurgie: Die Richtlinien empfehlen nun den perioperativen Einsatz von IPC ab Beginn der Operation bei Patienten, die sich mittelschweren bis hochkomplexen Wirbelsäulenoperationen und Kraniotomie unterziehen. Die Einleitung von LMWH oder unfraktioniertem Heparin (UFH) wird postoperativ empfohlen, sofern kein signifikantes Blutungsrisiko besteht.
- Herzchirurgie: Bei Herzpatienten sollte innerhalb von 6 bis 24 Stunden nach der Operation mit der medikamentösen Prophylaxe begonnen werden, vorausgesetzt, es besteht kein signifikantes Blutungsrisiko. Dies ist eine wichtige Änderung, die darauf abzielt, die Inzidenz von VTE zu verringern, ohne die Patientensicherheit zu gefährden.
5. Prophylaxe in der urologischen Chirurgie
- Die Leitlinien geben konkrete Empfehlungen zur medikamentösen Prophylaxe bei urologischen Eingriffen, wie etwa bei der offenen radikalen Zystektomie und der radikalen Prostatektomie. Je nach Risikoprofil des Patienten wird die Verwendung von niedermolekularen Hemmstoffen oder direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) empfohlen.
6. Dauer und Zeitpunkt der Prophylaxe
- Erweiterte Prophylaxe: Die Richtlinien empfehlen, die Dauer der VTE-Prophylaxe bei Hochrisikopatienten über den Krankenhausaufenthalt hinaus zu verlängern, insbesondere nach größeren orthopädischen Operationen wie Hüfttotalarthroplastiken (THA) und Knietotalarthroplastiken (TKA). Es werden mindestens 7 Tage empfohlen, in bestimmten Hochrisikoszenarien können bis zu 4 Wochen in Betracht gezogen werden.
- Zeitpunkt: Der Zeitpunkt der ersten NMH-Dosis wird besonders im Zusammenhang mit einer neuroaxialen Anästhesie besonders berücksichtigt. Die Leitlinien empfehlen einen postoperativen Beginn, insbesondere bei Fast-Track-Verfahren, um das Risiko eines spinalen Hämatoms zu minimieren.
7. Patientenaufklärung und Risikobewertung
- Ein wiederkehrendes Thema in den Richtlinien ist die Bedeutung der Aufklärung der Patienten über die Anzeichen und Symptome von VTE und die Sicherstellung einer individuellen Risikobewertung. Die Verwendung des Caprini-Scores zur VTE-Risikobewertung wird wiederholt, obwohl die Richtlinien die Notwendigkeit von Aktualisierungen anerkennen, um Änderungen in der perioperativen Versorgung Rechnung zu tragen.
Schlüssel-Höhepunkte
- Die Bedeutung einer individuellen VTE-Risikobewertung und der Verwendung validierter Tools wie des Caprini-Scores.
- Die Notwendigkeit einer frühzeitigen Einleitung und in manchen Fällen einer längeren Dauer der medikamentösen Prophylaxe, insbesondere bei chirurgischen Hochrisikopatienten.
- Die entscheidende Rolle der mechanischen Prophylaxe, insbesondere der IPC, bei der Verringerung des VTE-Risikos, wenn pharmakologische Optionen begrenzt oder kontraindiziert sind.
- Die Richtlinien berücksichtigen neue chirurgische Fachgebiete und Patientengruppen und gewährleisten so eine breitere Anwendbarkeit in unterschiedlichen klinischen Umgebungen.
Fazit
Die Aktualisierung der europäischen Leitlinien zur perioperativen VTE-Prophylaxe aus dem Jahr 2024 bietet einen robusten und umfassenden Ansatz zur VTE-Prävention und berücksichtigt die neuesten Erkenntnisse und klinischen Praktiken. Durch die Einhaltung dieser Richtlinien können Ärzte die Sicherheit und das Wohlbefinden ihrer chirurgischen Patienten verbessern und letztlich die VTE-Belastung in der perioperativen Phase verringern.
Ausführlichere Informationen finden Sie im vollständigen Artikel im Europäische Zeitschrift für Anästhesiologie
Romero, Carolina S.; Afshari, Arash; Südy, Roberta; Samama, Charles Marc. Europäische Leitlinien zur perioperativen Prophylaxe venöser Thromboembolien: erstes Update.: Einführungskapitel. European Journal of Anaesthesiology 41(8):p 549-560, August 2024.
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