
Vasopressin bei traumatischem hämorrhagischen Schock: Eine vielversprechende, aber unbewiesene Therapie
Der traumatische hämorrhagische Schock ist nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen bei Traumapatienten, insbesondere wenn die Flüssigkeitstherapie fehlschlägt und ein chirurgischer Eingriff verzögert wird. Trotz Fortschritten in der Traumaversorgung sind wirksame Strategien zur Stabilisierung von Patienten im hämorrhagischen Schock noch immer schwer greifbar. Eine neue Behandlungsoption ist Arginin-Vasopressin (AVP), ein potenter Vasokonstriktor, der in experimentellen Modellen vielversprechend ist. Seine klinische Wirksamkeit wird jedoch noch diskutiert. Die Überprüfung durch Voelckel et al. 2025 untersucht die Rolle von Vasopressin beim traumatischen hämorrhagischen Schock und fasst den aktuellen Forschungsstand, mögliche Vorteile und verbleibende Unsicherheiten zusammen.
Hämorrhagischen Schock verstehen
Ein hämorrhagischer Schock ist die Folge eines starken Blutverlusts. Er führt zu einem verminderten venösen Rückfluss, einer verringerten Herzleistung und einer beeinträchtigten Sauerstoffversorgung des Gewebes. Unbehandelt kann er zu einem irreversiblen Schock und zum Tod führen.
Zu den wichtigsten physiologischen Reaktionen auf einen hämorrhagischen Schock gehören:
- Durch die Aktivierung der Barorezeptoren werden Katecholamin (Epinephrin, Norepinephrin) freigesetzt, um den Blutdruck aufrechtzuerhalten.
- Vasokonstriktion zur Aufrechterhaltung des Blutflusses zu lebenswichtigen Organen (Herz, Gehirn).
- Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) zur Flüssigkeitskonservierung.
Wenn diese Kompensationsmechanismen jedoch versagen, entwickeln die Patienten eine Vasoplegie, die durch starken Blutdruckabfall und unzureichende Durchblutung gekennzeichnet ist. Hier könnte Vasopressin eine Rolle spielen.
Mechanismus von Vasopressin beim hämorrhagischen Schock
Vasopressin, ein endogenes Hormon, wird als Reaktion auf Hypotonie und Hypovolämie freigesetzt. Es entfaltet seine Wirkung durch:
- Eine Erhöhung des systemischen Gefäßwiderstands durch die Aktivierung des V1-Rezeptors führt zu einer Gefäßverengung.
- Verlagerung des Blutflusses vom peripheren Kreislauf (Skelettmuskel, Haut und Splanchnikusregion) zu lebenswichtigen Organen (Herz und Gehirn).
- Verbesserung der Flüssigkeitsretention durch Aktivierung des V2-Rezeptors in den Nieren, wodurch das intravaskuläre Volumen verbessert wird.
Studien zeigen, dass AVP selbst im Schockstadium wirksam bleibt, im Gegensatz zu Noradrenalin und Angiotensin II, die aufgrund einer übermäßigen Stickoxidproduktion ihre gefäßverengenden Eigenschaften verlieren.
Forschungsergebnisse zu Vasopressin beim traumatischen hämorrhagischen Schock
Tierversuche
- 23 Tierstudien bestätigen, dass Vasopressin die Hämodynamik stabilisieren und die Überlebensraten bei hämorrhagischem Schock verbessern kann.
- Die Verabreichung von Vasopressin an Schweine und Nagetiere führte zu:
- Erhöhter arterieller Druck
- Reduzierter Flüssigkeitsbedarf
- Verlängertes Überleben
Klinischer Beweis
- Fallberichte: Sechs Fallberichte legen nahe, dass AVP die Hämodynamik bei Patienten mit Flüssigkeits- und Katecholamin-refraktärem Schock wirksam wiederherstellte.
- Beobachtende Studien:
- In zwei retrospektiven Studien konnte kein Überlebensvorteil bei mit AVP behandelten Patienten nachgewiesen werden.
- Eine prospektive Kohortenstudie ergab keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Sterblichkeit.
- Randomisierte kontrollierte Studien (RCTs):
- Zwei RCTs untersuchten Vasopressin bei Traumapatienten:
- Eine Studie ergab einen verringerten Flüssigkeitsbedarf, jedoch keinen Überlebensvorteil.
- Ein anderer berichtete von keiner signifikanten Verbesserung der Ergebnisse.
- Zwei RCTs untersuchten Vasopressin bei Traumapatienten:
Wann sollte Vasopressin angewendet werden?
Trotz vielversprechender Daten aus Tierversuchen sind Zeitpunkt und Dosierung von Vasopressin bei hämorrhagischem Schock weiterhin unklar.
- Frühzeitige Verabreichung: Umstritten aufgrund von Bedenken hinsichtlich einer Verringerung der Gewebedurchblutung vor der Blutstillung.
- Als letztes Mittel: Wird bei einem Katecholamin-refraktären Schock in Betracht gezogen, wenn Flüssigkeitszufuhr und Transfusionen versagen.
- Hypovolämischer Herzstillstand: Einige Berichte legen nahe, dass AVP bei einem Herzstillstand aufgrund schweren Blutverlusts zur Wiederherstellung der Blutzirkulation beitragen kann.
Risiken und Grenzen von Vasopressin
Obwohl Vasopressin Potenzial zeigt, wird sein routinemäßiger Einsatz durch schwerwiegende Nebenwirkungen eingeschränkt:
- Eine schwere Gefäßverengung kann Folgendes verursachen:
- Ischämie im Magen-Darm-Trakt, die zu Darmnekrosen führt.
- Periphere Ischämie, die zu Gewebeschäden oder Nekrose führt.
- Herzkomplikationen:
- Myokardischämie oder -infarkt aufgrund übermäßiger Vasokonstriktion.
- Arrhythmien, einschließlich ventrikulärer Tachykardie und Asystolie.
- Mangel an Humandaten:
- Die meisten Beweise stammen aus Tiermodellen.
- Aufgrund der begrenzten Anzahl hochwertiger klinischer Studien ist es schwierig, AVP als Standardtherapie zu empfehlen.
Aktuelle Trauma-Leitlinien und Casopressin
- Die Europäischen Trauma-Leitlinien (6. Ausgabe) empfehlen Noradrenalin zur Aufrechterhaltung des arteriellen Blutdrucks bei hypotensiven Traumapatienten, sprechen sich jedoch aufgrund unzureichender Evidenz nicht für Vasopressin aus.
- ATLS (Advanced Trauma Life Support) und andere Leitlinien für schwere Traumata empfehlen Vasopressoren nicht als Erstlinientherapie bei hämorrhagischem Schock.
- Stattdessen bleiben Flüssigkeitszufuhr, Bluttransfusionen und eine frühzeitige Blutungskontrolle die wichtigsten Säulen der Behandlung.
Fazit
- Experimentelle Modelle sprechen stark für den Einsatz von Vasopressin bei hämorrhagischem Schock, klinische Studien bestätigen jedoch noch keinen Überlebensvorteil.
- Vasopressin kann als letzte Therapieoption bei katecholaminresistentem Schock in Betracht gezogen werden, eine routinemäßige Anwendung wird derzeit jedoch nicht empfohlen.
- Zukünftige Forschung sollte sich auf folgende Punkte konzentrieren:
- Optimale Dosierungsstrategien.
- Bester Zeitpunkt der Verabreichung.
- Langzeitsicherheit bei Traumapatienten.
Vasopressin ist derzeit noch ein interessantes, aber noch nicht erprobtes Mittel zur Behandlung des hämorrhagischen Schocks. Um seine endgültige Rolle in der Traumareanimation zu klären, sind weitere gut konzipierte, groß angelegte klinische Studien erforderlich.
Weitere Informationen finden Sie im vollständigen Artikel in Aktuelle Meinung in der Anästhesie.
Voelckel WG. Vasopressin bei traumatischem hämorrhagischem Schock. Curr Opin Anaesthesiol. 2025. April 1;38(2):81-92.
Lesen Sie mehr über perioperative Blutungen in unserem Handbuch zur Anästhesie: Best Practices und Fallmanagement.