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Krebsassoziierte Koagulopathie

17. April 2025

Angesichts stetig steigender Krebsraten und verbesserter Überlebenschancen der Patienten dank fortschrittlicher Therapien begegnen Anästhesisten im chirurgischen Bereich zunehmend Patienten mit krebsbedingten Gerinnungsstörungen. Diese Patienten haben ein erhöhtes Risiko für thrombotische und hämorrhagische Komplikationen. Dies erfordert ein detailliertes Verständnis der Mechanismen der Koagulopathie und maßgeschneiderte perioperative Strategien.

Eine Übersichtsarbeit von Deshpande et al. analysiert das komplexe Zusammenspiel zwischen Malignität und Blutgerinnung.

Epidemiologische Highlights
  • 7–11-fache Steigerung des Risikos venöser Thromboembolien (VTE) bei Krebspatienten.
  • 3x höhere Rate tödlicher Lungenembolien (PE) im Vergleich zu Nicht-Krebspatienten.
  • Bestimmte bösartige Erkrankungen (Pankreas, Lunge, Eierstock) zeigen besonders hohes VTE-Risiko.
  • Bei hämatologischen Malignomen besteht das höchste Blutungsrisiko (Inzidenz 30 %).
  • Eine disseminierte intravaskuläre Gerinnung (DIC) tritt auf bei bis zu:
    • 10 % der soliden Tumoren
    • 20 % der hämatologischen Krebserkrankungen
Mechanismen
  • Überexpression des Gewebefaktors (TF): Aktiviert den extrinsischen Gerinnungsweg.
  • Mikropartikel (MPs): Wird von Tumor- und Blutzellen freigesetzt; reich an TF und prokoagulierenden Phospholipiden.
  • Neutrophilen-Extrazellulärfallen (NETs): Lösen Sie die Gerinnselbildung und Thrombozytenaggregation aus.
  • Hypoxie und HIF-1α-Aktivierung: Fördert Endothelschäden und TF-Hochregulierung.
  • VEGF-Überproduktion führt zu Angiogenese und Gefäßfragilität.
Klinische Manifestationen
Thrombotische Erkrankungen
  • VTE: TVT, PE, Thrombose der oberen Extremitäten (insbesondere bei zentralen Venenkathetern).
  • Arterienthrombose: Schlaganfall, Herzinfarkt; verbunden mit myeloproliferativen Neoplasien.
  • TMA: Hämolytische Anämie, Thrombozytopenie, Nierenfunktionsstörung.
  • Veneno-okklusive Krankheit (VOD): Leberversagen nach einer Transplantation.
  • Nichtbakterielle thrombotische Endokarditis (NBTE): Klappenvegetationen mit systemischen Embolien.
Blutungsstörungen
  • DIC: Doppeltes Auftreten von Thrombose und Blutung.
  • Thrombozytopenie: Aufgrund von Chemotherapie, Knochenmarkinfiltration oder DIC.
  • Erworbene Von-Willebrand-Krankheit: Insbesondere bei hämatologischen Krebserkrankungen.
  • Arzneimittelinduzierte Thrombozytenfunktionsstörung: Beobachtet bei Ibrutinib, Anti-VEGF-Therapien.
Präoperatives Management
Checkliste zur präoperativen Beurteilung
  • Beurteilen Sie Krebsart und -stadium.
  • Überprüfen Sie die Behandlungsgeschichte: Chemotherapie, Bestrahlung, Immuntherapien.
  • Gerinnungslabore überprüfen:
    • Thrombozytenzahl
    • PT/INR, PTT
    • D-Dimer
    • Viskoelastische Prüfung (TEG oder ROTEM)
  • Bewerten Sie den Funktionsstatus und Komorbiditäten.

Risikostratifizierung mit RAMs (Risk Assessment Models):
  • Khorana-Score
  • Caprini RAM (für chirurgische Patienten)
  • COMPASS-CAT (für ambulante Krebspatienten)
Antikoagulationsstrategie
  • Setzen Sie DOAK (direkte orale Antikoagulanzien) 2–3 Tage vor der Operation ab (bei eingeschränkter Nierenfunktion länger).
  • Eine Überbrückung mit LMWH (niedermolekulares Heparin) kann erforderlich sein.
  • Vermeiden Sie eine Regionalanästhesie, sofern der Gerinnungsstatus nicht gemäß den Richtlinien der ASRA (American Society of Regional Anesthesia) korrigiert wird.
Intraoperatives Management
Best Practices
  • Überwachen Sie mit TEG/ROTEM, um die Gerinnungseffizienz zu beurteilen.
  • Bereiten Sie sich vor auf:
    • Thrombozyten-Transfusion
    • Kryopräzipitat (bei niedrigem Fibrinogenspiegel)
    • Niedrig dosierte Prothrombinkomplexkonzentrate (PCCs)
  • Verwenden Sie bei immungeschwächten Patienten leukozytenreduzierte oder bestrahlte Blutprodukte.
Notfälle, auf die Sie achten sollten
  • DIC (Disseminierte intravaskuläre Gerinnung): Behandeln Sie mit gezielten Transfusionen, Fibrinogenkonzentrat und PCCs.
  • Akute Lungenembolie (PE) oder Myokardinfarkt (MI): Verwenden Sie eine intraoperative TEE (transösophageale Echokardiographie). Erwägen Sie bei Indikation eine ECMO oder Thrombektomie.
Postoperatives Management
Richtlinien
  • Beginnen Sie mit der pharmakologischen Thromboseprophylaxe, sobald die Blutung unter Kontrolle ist.
  • Bei Hochrisikopatienten (z. B. Patienten, die sich größeren Becken- oder Bauchoperationen unterziehen) sollte die Thromboseprophylaxe für weitere 4 Wochen postoperativ fortgesetzt werden.
  • Kombinieren Sie nach Möglichkeit mechanische und pharmakologische Methoden.
Dauer der VTE-Prophylaxe
Punktzahl 5–8 (mittleres Risiko):
  • Setzen Sie die VTE-Prophylaxe fort für 10 Tage nach der Operation.
  • Bei diesen Patienten ist das Risiko so groß, dass eine erweiterte Prophylaxe über den unmittelbaren Krankenhausaufenthalt hinaus erforderlich ist.
Score ≥ 9 (Hohes Risiko):
  • Setzen Sie die VTE-Prophylaxe fort für 30 Tage postoperativ.
  • Diese Patienten haben ein deutlich erhöhtes Risiko und profitieren von längerfristigen Präventionsstrategien.

Einfluss gängiger Chemotherapeutika auf das Gerinnungs- und Hämostaserisiko

Abschließende Gedanken

Die krebsbedingte Koagulopathie ist multifaktoriell, dynamisch und stark individuell. Angesichts der sich rasch entwickelnden Therapielandschaft und der alternden Patientenpopulation müssen perioperative Teams – insbesondere Anästhesisten – bei der Behandlung von Blutungs- und Thromboserisiken wachsam und proaktiv bleiben.

Kollaborative, evidenzbasierte Protokolle und Echtzeit-Bewertungstools wie ROTEM/TEG sind für die Verbesserung der Ergebnisse dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppe von entscheidender Bedeutung.

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie unter  Schauen Sie sich die Anästhesie-Updates auf der NYSORA an Anästhesie-Assistent-App

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